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Jeanne Benay, « Karl Renner : un discours présidentiel codé », Austriaca : Cahiers universitaires d'information sur l'Autriche (documents), ID : 10.3406/austr.2000.4316
Die politische Rede ist eine vernachlässigte Gattung, selbst wenn man das rhetorische Talent gewisser Persönlichkeiten wie Bismarck, Gambetta, Churchill, De Gaulle, Kennedy oder Clinton anerkennt. Für den Bundespräsidenten eines Landes wie Österreich, dessen Status sich seit der novellierten Verfassung von 1929 zwischen dem des Präsidenten der Republik Frankreich und dem des deutschen Bundespräsidenten situiert obwohl es noch keine allgemeinen Wahlen für diesen höchsten staatlichen Würdenträger bis 1951 gegeben hat, gehören diese Ansprachen, im Vergleich zur Verantwortung und zur Handlungsfreiheit des amerikanischen Exekutive-Oberhaupts, zu den seltenen Mitteln, die ihm zur Ausübung seiner Macht zur Verfügung stehen. Hat J. Rau in Deutschland das entscheidende Eingreifen G. Heinemanns während des 1 968er Sturms und kennzeichnenderweise die synergische Rolle seiner Reden gewürdigt, so sind die Ansprachen Renners nur fragmentarisch in dem Band Für Recht und Frieden (1951) gesammelt. Die Kanzler, die wegen ihrer effektiven Macht besser behandelt werden, haben manchmal die Veröffentlichung dieser Texte noch zu Lebzeiten miterlebt, wie etwa B. Kreisky (Reden, 1981), oder wenigstens die der Regierungserklärungen (Sinowatz, Vranitzky...). In Krisenzeiten stehen jedoch gerade die Präsidenten auf der politischen Vorderbühne im Rampenlicht : Harnisch im Jahre 1922, Miklas im Jahre 1933, Waldheim zwischen 1986-1992, Klestil seit Ende 1999, obwohl die verschiedenen "Affären" nicht vergleichbar sind. Nur die Reden des Präsidenten R. Kirchschläger hatten vor kurzem mehr Glück (Immer den Menschen zugewandt, 2000). Nun war Renner der erste Bundespräsident der Zweiten Republik während einer schwierigen Zeit (1945-1950) : der Besatzung. Stand seine Wahl im konsensualen Zeichen der demokratischen Kontinuität und der Anerkennung seiner doppelt historischen Rolle durch seine Standesgenossen, so waren seine Reden nicht frei von politischer Gewandtheit und Pragmatismus. Eine Fallstudie die anscheinend schematische und rein förmliche Investiturrede vom 20. Dezember 1945 macht es möglich, hinter dem tradierten rhetorischen Vorgehen (Aristoteles, Cicero, Quintilian) eine epidiktisch deliberative "Gelegenheits" - Rede zu erkennen, die, diplomatisch geschickt und persönlich, das Anekdotische als Maskierung des docere in delectare und movere zu benutzen weiß, um die Geschichte zu kodieren, in welcher aber auch das Diktat der Realpolitik zum Aufschieben der historischen Anamnese und Trauerarbeit führt, die jedoch seit 1945 von den Intellektuellen laufend parallel zum politischen Geschehen angeregt bzw. übernommen wurde (Qualtinger, Merz, Hochwälder, Canetti, Bernhard...).